Abenteuer Gipfelsturm: Die Wetterspitze ruft

Abenteuer ist ein Reizwort, dass vielfältige Assoziationen wecken kann: ein Kribbeln im Bauch, Vorfreude beim Gedanken an das Unbekannte, oder ein Unbehagen, weil ich nicht weiß was da auf mich zukommt und ob ich es bewältigen kann.

Im Rahmen dieses Beitrags will ich das Wesen des Abenteuers anhand einer realen Begebenheit für den Leser greifbar machen. Dabei werde ich jeweils eine Antwort auf nachfolgende Thesen der Blogparade “Dein Abenteuer ist nicht mein Abenteuer”, von Florian Blümm, wagen:

  • Ein Abenteuer hängt von Erfahrung ab (These 1)
  • Ein Abenteuer ist subjektiv (These 2)
  • Ein Abenteuer musst Du dir verdienen (These 3)
  • Ein Abenteuer ist oft überraschend (These 4)

Jeder der schon mal einen Bergaufstieg gemacht hat wird bestätigen, dass das Klettern eine besondere Herausforderung ist. Einen Aufstieg sollte man nicht unvorbereitet angehen, sonst wird das Unterfangen zu einem unkalkulierbaren Risiko. Diese Erkenntnis habe ich im Lauf von einigen Bergtouren gewonnen und so bestand meine erste Tat darin einen einheimischen Bergführer für den Aufstieg zur oberen Wettersteinspitze zu gewinnen. Dieser Gipfel ist ein Bestandteil des Wettersteingebierges, eine Höhenkette im bayerischen Garmisch Partenkirchen. Gemessen an der Höhe hat die obere Wettersteinspitze wenig spektakuläre 2298 m über NN, die es aber im oberen Drittel durchaus in sich haben. Der Aufstieg wird daher vom Alpenverein als Alpinroute der Kategorie T4 geführt und sollte nur von geübten Bergsteigern angepackt werden. Bei aller Übung und Vorbereitung bleibt der Aufstieg ein Abenteuer, da sich die Witterung rund um den Gipfel nicht vorhersagen lässt. Mit einiger Erfahrung weiß der Wanderer jedoch wie er mit dem Wetterrisiko umgehen sollte. Was für den ortsunkundigen “Gipfelstürmer” nach Abenteuer aussieht lässt den Pulsschlag des Bergführers nicht so schnell ansteigen. Der oben formulierten These 1 kann ich daher überwiegend zustimmen.

Bei unserem Aufstieg hatten wir vor allem zwei Faktoren zu beachten: Die Großwetterlage und die Zeit die wir für dieses Unterfangen brauchen. Das Ziel muss darin bestehen Auf- und Abstieg bei ausreichendem Tageslicht zu bewältigen. Da man für diese Tour etwa acht Stunden einplanen muss starteten wir mit dem frühen Tageslicht ab Mittenwald. Der Weg windet sich vom Ort aus am Rand eines bewaldeten Bergpfads in westliche Richtung bis zum Fuß des Gipfels. Eine Wanderung zu so früher Stunde hat in der Natur etwas Schönes. Die ersten zarten Sonnenstrahlen die aus der Höhe auf die Stämme fallen, dazu vereinzelt Vogelstimmen,… Der Pfad ist schmal und mit Baumwurzeln und Steinen gespickt. Hier und dort ein abgeknickter Stamm. Dann lichten sich die Baumreihen und der Blick heftet sich auf den Fels der nun näher rückt.

Und dann, am Rand der Baumzone erhebt sich der Berg unmittelbar vor uns. Da ist es dann zum ersten Mal, eine konkrete Vorahnung, dass dieser Tag Überraschendes bereit hält. Tom, mein einheimischer Begleiter, legt eine stoische Ruhe an den Tag. Nach einer kurzen Rast packen wir den ersten Teil des Aufstiegs an. In diesem Abschnitt hängen noch zahlreiche Seile am Stein und es sind Markierungen zu sehen. Links von uns ragt eine Steinwand auf, darunter Geröll. Wir müssen uns rechts davon halten, hier bietet der Berg genügend Trittgelegenheiten. Von einem Pfad kann man nun nicht mehr sprechen. Das erste fiese Gefühl macht sich in der Magengegend breit. Tom ruft mir zu: nach oben gucken, zum Berg, nicht zurück. In dieser Situation richten sich die Gedanken auf das Existenzielle: Das bedeutet, volle Konzentration auf den nächsten Schritt. Die eigene Verwundbarkeit wird Dir bewusst, das Zeitgefühl geht verloren. In diesem Augenblick gibt es nichts neben dem Berg was von Belang wäre. Die Sonne steht nun im Rücken und sticht. Wahnsinn was für eine Intensität die Strahlung in der Höhe hat, kein Bewuchs der dich schützt. Dann ist der zweite Abschnitt geschafft, wir halten auf einer Art Felsvorsprung. Ich drehe mich um und mich packt eine Mischung aus Euphorie und Entsetzen. Eine Spielzeuglandschaft vor mir, nichts als Stein neben, über und unter mir. Spätestens jetzt ist das Abenteuer spürbar und es ist natürlich subjektiv. Was bei mir den Adrenalinspiegel hoch treibt scheint meinen Begleiter äußerlich wenig zu tangieren. Die These 2 kann ich in meiner Erinnerung bestätigen. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es weiter. Der letzte Teil des Aufstiegs hat begonnen, der Gipfel erscheint nun recht nah. Mein Begleiter verschwindet hinter einer Kurve. Ich folge ihm und bekomme fast die Krise. Ein schwindelerregender Blick nach unten. Ich kann nicht abschätzen wieviele Höhenmeter es bis zum Grund sind. Tom hangelt sich zurück am Fels und sagt: umdrehen, ich habe mich verstiegen. In diesem Moment bereue ich die Tour und meine Abenteuerlust zum ersten Mal. Es gibt aber hier kein zurück – also weiter! Mit jedem Höhenmeter steigt auch die Gewissheit, dass das Ziel nun zum greifen nahe ist. Schließlich ist der Gipfel erreicht. These 3 kann ich in meiner Erinnerung ebenfalls bestätigen: Du musst Dir den Aufstieg verdienen, es ist am Ende harte Arbeit!

Das Überraschungsmoment (These 4) stellt sich mehrfach auf dieser Tour ein: zunächst die Kurve und der Blick in den Abgrund. Schließlich die letzten Meter die mir so unspektakulär vorkommen und die damit verbundene Erleichterung, dass das Ziel erreicht ist!

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